Anreise am 20.7.2021 ins Unterengadin über den Flüelapass
Zwei seltene Orchideen stehen auf der Wunschliste. Mit dabei sind Andrea, die Biologin, und Jürg mit seinem Camper. Vielleicht besuchen wir zusätzlich den "Malaxis-Standort" bei Scuol. Der Camping bei Sur En ist gut besetzt, aber wir finden einen Platz. Unweit von hier kennt Jürg ein Plätzchen, wo der Widerbart (Epipogium aphyllum) wächst. Ob wir zur richtigen Zeit hier sind und ob sie dieses Jahr überhaupt blüht, diese empfindliche Orchidee, wissen wir nicht.
Auf dem Weg begegnen uns Braunrote Stendelwurze (Epipactis atrorubens) und eine Gruppe Vogelnestwurze (Neottia nidus-avis). Den ersten Widerbart entlarven wir (die Biologin!) als Fichtenspargel. Mit bestem Willen finden wir keinen einzigen Widerbart. Bevor sich Enttäuschung breit macht, erinnere ich mich, hier in der Nähe zwei weisse Fuchs' Fingerwurze fotografiert zu haben. Das wäre doch etwas, vielleicht sind sie noch hier. Yes, sie sind. Eigentlich gibt es keinen Grund, den Grasstreifen am Wegrand näher zu untersuchen, aber ich kann nicht anders .... und werde belohnt.
Grün im grünen Grasstreifen, unscheinbar, aber deutlich und ohne Zweifel gibt es hier das Einblatt (Malaxis monophyllos). Wer es einmal gesehen hat, erkennt es sofort. Es sind einige und auch Jungpflanzen, noch ohne Blütenstängel. Wir zählen 12 blühende Pflanzen. Beat wird einige Tage später sogar 18 Pflanzen ausfindig machen und etwas weiter entfernt zehn weitere. Das habe ich echt noch nie gesehen.
Die kleinen, anmutigen Glöckchen, zu denen mich Jürg ruft, sind Moosglöckchen (Linnaea borealis), in Mitteleuropa ausgesprochen selten; sie kommen nur in Nadelwäldern mit ausreichender Moosschicht vor. Das Stativ kann gar nicht richtig platziert werden, es sinkt sofort ein. Mit Vorsicht und ohne Flurschaden zu hinterlassen gelingen trotzdem erfreuliche Fotos.
Eine Stunde später sitzen wir zufrieden im Restaurant Val d'Uina bei einem feinen Nachtessen.
Am nächsten Morgen scheint wieder die Sonne und wir freuen uns auf den Il Jalet, 2389 m, am Ofenpass. Wir sind auf den Spuren des roten Männertreu's (Nigritella rubra). Die kleine Diskussion, welcher der richtige Weg ist, lasse ich an mir vorbeigehen und schliesse mich der Mehrheit an. Kaum sind wir richtig losgegangen stehen wir vor hunderten wohlriechenden Mückenhandwurzen (Gymnadenia odoratissima), fast in allen Farben.
Andrea entdeckt in der Weggabelung eine Orchideen-Hybride und packt die Fotosachen aus. Das mache ich auch. Eine Hybride, was für eine auch immer, sieht man nicht alle Tage (die beiden Bilder unten links). Ruedi Peter bestätigt auf Anfrage, dass dies eine Hybride G. odoratissima x N. rhellicani ist. Einige wenige N. rhellicani finden sich in unmittelbarer Nähe (3. Bild). Im Hintergrund erhebt sich unser Berg, der Il Jalet.
Ein paar Schritte weiter fallen mir zwei Gymnadenien auf (4. + 5. Bild) ,die viel grösser sind als alle umstehenden G. odoratissima. Aber auch ganz anders gebaut als G. conopsea. Der Sporn ist deutlich länger als bei G. odoratissima, aber niemals so lang wie bei G. conopsea. Ob das wohl Hybriden zwischen den beiden sind? Es scheint, dass hier etliche Gymnadenien stehen mit Merkmalen beider Arten.
Jürg geht weiter. Noch sind wir nicht am Ziel. Andrea und ich kommen nach. Getreu unseren Standortangaben für das Rote Männertreu schauen wir pausenlos links und rechts. Es ist absolut nicht einfach, denn tausende bewimperte Alpenrosen (Rhododendron hirsutum) leuchten uns in jener Farbe entgegen, die wir auch für das Rote Männertreu vermuten. Langsam droht es streng zu werden. Doch dann winken mir Andrea und Jürg freudig zu. Es kann nur bedeuten: Wir haben es gefunden. Fotohalt und Mittagszeit. Wunderschön, diese rubinrote Farbe inmitten von Schwarzen Männertreu, die mehrheitlich erst am Aufblühen sind (unten, letztes Bild).
Für die Gipfelregion des Il Jalet ist die Zwergorchis (Chamorchis alpina) angesagt. Auf dem Weg nach oben begegne ich einer Platanthera die ich nicht zuordnen kann. Das Blüteninnere erscheint komisch "verunstaltet", so dass ich die bestimmenden Merkmale nicht erkennen kann. Wir würden hier noch vieles finden, doch diese blass-gelbe G. odoratissima "nehme ich noch".
Jetzt sind wir in der Edelweisszone. Bekannterweise die Zeigerpflanze für die Zwergorchis. Jürg entdeckt sie zuerst. Hart am windgepeitschten Grat, ungeeignet für ängstliche Gemüter. Aber er findet noch weitere, an denen ich vorbei gegangen bin. Einmal mehr staune ich, wie klein diese völlig unscheinbare, grünliche Orchidee ist.
Und noch einmal finde ich Hybriden. Vermutlich Gymnadenia conopsea x N. rhellicani
Jürg mahnt zum Aufbruch: Sonst haben wir keinen Platz mehr in Santa Maria. So kommt es dann auch fast, als wir zu Fuss auf dem Camping einen freien Platz suchen. Aber mit Charm erbitten wir uns einen schmalen Platz auf einer bereits belegten Parzelle. Vielen Dank dem jungen, deutschen Ehepaar mit Kleinkind.
Letzter Ferientag, 22. Juli 2021, wieder Sonnenschein, wieder feiner Kaffee zum Frühstück. Dann sind wir unterwegs Rrichtung Bernina. Andrea hat sich von einem Naturfotografen Angaben zu einem Gebiet mit vielen Männertreu erhalten, auch solche mit aussergewöhnlicher Färbung. Wir parkieren auf dem Parkplatz der Piz Lagalp-Bahn.
Unsere Augen sind auch offen für Alpenblumen, die keine Orchideen sind: Felsen-Ehrenpreis (Veronica fruticans) Türkenbund-Lilie (Lilium martagon), Margerite, Blaue Himmelsleiter (Polemonium caeruleum)
Unten ein paar Bilder als Spielerei beim Focus Stacking. Das dritte Bild ist zusammengesetzt aus 69 Einzelbildern, bei denen die Schärfeebene zwischen dem ersten und zweiten Bild liegen. Bild 4 und 5 sind mit einer Auswahl von Einzelbildern entstanden.
Aufnahmedaten: 1/800 sec / Blende 5 / ISO 100 / 100 mm Brennweite.
Auf einer kleinen Wiesenfläche direkt am Bach und nahe der Bernina-Passstrasse blüht eine allerletzte Breit-blättrige Fingerwurz (Dactylorhiza majalis). Ich denke, sie kommt hier häufig vor. Doch daneben wird's interessanter: Vermutlich eine Hybride Nigritella rhellicani x Pseudorchis albida.
Trotz reicher Fülle an Männertreu-Orchideen sind wir zunehmend ein bisschen enttäuscht. Farbvarianten, z.B. gelb oder weiss haben wir nicht gefunden. Vielleicht haben wir einfach sehr viel erwartet von nur einem einzigen Besuch am Piz Lagalp.
Trotzdem, zusammen Orchideen suchen, staunen, überrascht werden und einem Widderchen zuschauen wie es minutenlang Nektar aus Männertreu-Blüten saugt erfreut jedes Botaniker-Herz. Es gibt dazu noch Filmaufnahmen, die muss ich aber erst schneiden und zusammensetzen.